Die beste Freundin meiner Tochter hat nun eine Zwillingsschwester. Ich fühle mich zurückerinnert an meine Schulzeit, in der die meisten Mütter meiner Freundinnen nicht arbeiteten und die Väter das Geld für das Einfamilienhaus verdienten, wenn sie nicht sowieso bei Oma und Opa mit im Haus wohnten. Dies ist kein Neid, sondern erst einmal eine Feststellung, wie die Verhältnisse unter meinen Freundinnen in der Regel waren. Die Mütter brachten die Kinder mit dem Auto zur Schule und holten sie vor dem Schulhof wieder ab. Da meine Eltern und meine Oma arbeiteten, ging ich fast immer zu Fuß. Nach der Schule fragten meine Freundinnen öfter ihre Mütter, ob sie mich mitnehmen könnten, und ich erkannte und hörte ein Ja, aber auch einen subtilen Unterton in Form einer nicht greifbaren nonverbalen Kommunikation. Es lag in diesem Moment etwas zwischen der offenen Beifahrertür, der Person am Lenkrad und mir, die neben ihrer Freundin stand. Das ist ein Beispiel für eine unsichtbare Verurteilung, Beurteilung, Bewertung oder sonstiges Urteilsbla. Ich hatte mich geschämt. Geschämt in diesen Augenblicken, dass meine Mutter arbeitet, was wohl darauf hindeutet, dass wir ärmer waren, als die, deren Mütter den Haushalt und die Kinder versorgten. Ich hatte mich geschämt für meine arbeitende Mutter. Nicht für meinen arbeitenden Vater, der mich nie zur Schule brachte oder abholte, zumindest in meiner Erinnerung. Auch das Rollen- und Schuldbild wurde vorgelebt. Aber auch andere Väter sind mir nicht in Erinnerung. Ein Bild entwickelte sich in mir, dass eine „gute“ Familie hatte, deren Mütter mehr Aufwand und Zeitkapital für ihre Kinder hatten. Die ihre Kinder nach der Schule erst mit einem Bring- und Abholdienst versorgten, dann mit frisch gekochtem Mittagessen und dann mit einer ordentlich verlaufenden Verabredung, das so viel heißt, die Mütter sind zuhause und kaum sichtbar mit Hausarbeit beschäftigt, wenn die Kinder spielen, sie sind jederzeit ansprechbar, sie unterhalten sich beim Bringen der Spielkameradin mit der Mutter und beim Abholen natürlich noch einmal.
Weder wurde ich abgeholt, noch war meine Mutter ständig zuhause und bediente die spielenden Kinder mit Snacks und Fimoknete. Bald bekam ich in der Grundschule bereits einen Haustürschlüssel und eine tabellarische Auflistung von Meyers Menü, von der ich mir für ausgewählte Tage, an denen meine Mutter lange Schichten hatte, Essen aussuchen durfte. Ich wählte oft nach meinen Nachtischvorlieben.
Nun hatte die beste Freundin meiner Tochter eine Zwillingsschwester und obwohl die Erinnerungen nicht viel mit der Erinnerung bisher zu tun hat, fühle ich mich zurückversetzt in die damalige Zeit, aber nun als Mutter. Die Mutter der besten Freundin ist mit einer anderen Mutter sehr gut befreundet, sodass sie anscheinend eine Kinderfusion ins Auge gefasst haben. Bisher haben alle Kinder in einer Gruppe gut und gleichberechtigt gespielt, aber nun haben die beste Freundin und eine weitere Freundin meiner Tochter unaufhaltsam oft und in einem rasanten Tempo eine Gleichmachung zu erleben. Da die Mütter sehr viel Zeit miteinander verbringen, diese Zeit auch aufbringen können, haben sie nun die Idee, ihre Kinder alles zusammen machen zu lassen, dieselben Hobbys, dieselbe Kleidung, dasselbe Sportzeug, die selbe Verkleidung und Tattoos an Fasching. Ich sehe, wie sehr meine Tochter ihrer Freundin vermisst. Sie ist sehr tapfer und erzählt die aktuellen Geschichten der Konformitäten fast schon genervt. Ich sehe in diesem Verhalten und Auftreten viel mehr auch, dass ich dies, aufgrund meiner sozialen Prägung, auch an meine aktuelle Rolle ranlasse. Ich bin die Mutter, die nicht die Zeit und Ressourcen hat, mit den anderen Müttern feste Kontakte zu pflegen. Unsere Kinder zu halben Geschwistern zu machen, ständig Kaffee zu trinken, Kuchen zu teilen oder bei Geburtstagen mitzuhelfen.
Ich bin die Mutter, die arbeitet. Die zu viel arbeitet. Die , die Stunden noch einmal erhöhen musste, um bei der aktuellen Inflation nicht abzusteigen. Ich sehe auch gleichzeitig das Vorbild, das ich damit meiner Tochter in meiner Rolle bin. Ich liebe meinen Beruf und ich tue etwas sehr Sinnstiftendes. Aber in der aktuellen Gegenwart meiner Tochter spielt das wohl kaum eine Rolle. Schließlich sehe ich das Mädchen vor mir und ich hoffe sehr, dass sie sich nicht schämt. Schließlich versuche ich trotz des komplexen und vernetzten Alltags und einer humanitären Wertebildung, meine Tochter zur Schule zu bringen, sie abzuholen, ihr frisches Essen zu kochen und ihre Freundinnen mit Snacks und gelegentlich auch mit Spielanreizen zu versorgen. Es steckt in mir drin, dass ich diese Dinge, die ich vor 30 Jahren nicht erleben durfte und es mir zu der Zeit gewünscht habe, ihr erfüllen möchte. Es ist kein Vorwurf an meine Mutter dabei. Der Vater und seine Rolle kommen in den Erinnerungen und Zuweisungen tragischerweise nicht auf das Erinnerungstablett. Zumindest ist es mir heute bewusst. Dennoch sehe ich, dass es nun andere, weitere Dinge und Gegebenheiten sind, die ich als berufstätige, getrennt erziehende Mutter nicht leisten kann. Denn diese Rolle, dass die Familienverhältnisse nicht normativ sind, für das Grundschulelternklientel kommt noch obendrauf. Mein Mädchen, du schaffst das!
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